bbJesaja 24,26

Mark 3

Kapitel 3

1-6 Markus zeigt hier erneut Jesu Vollmacht im Hinblick auf die Bedeutung von Geboten auf, exemplarisch an der Frage des Sabbatgebots. Zugleich erlangt der bereits in Mk 2 thematisierte Konflikt zwischen Jesus und den Schriftgelehrten mit ihrem Plan Jesus umzubringen einen Höhepunkt. 7-12 Mit der Aufzählung der verschiedenen Regionen beschreibt Markus den umfassenden Charakter des Wunderwirkens Jesu. Das Bild von Jesus umringt von Kranken und Dämonen unterstreicht dabei das Elend der Menschen und seine Rolle als Sohn Gottes. 13-19 Markus macht an dieser Stelle deutlich, dass Jesus seine Nachfolger dazu aufruft, sein Werk fortzuführen. Gleichzeitig wird deutlich, dass es einige gibt, die sich von den Massen im vorhergehenden und nachfolgenden Abschnitt abheben. 20-35 Durch diese Szene macht Markus deutlich, dass die Gemeinschaft, die mit Jesus entsteht, einen eigenen und neuen Charakter hat, der sich von der Gemeinschaft der Familie unterscheidet. Deutlich wird dadurch auch, dass es selbst unter den eigenen Landsleuten und der eigene Familie Menschen gibt, die das nicht verstehen oder nachvollziehen können. 1
[Status: Zuverlässig]
Und er ging wieder einmal in die Synagoge. Und dort war ein Mann, der eine verkrüppelte (gelähmte)
verkrüppelt W. „verdorrt“ (LUT, ELB, EÜ), „vertrocknet“, was den damaligen medizinischen Vorstellungen entsprach (Collins 2007, 206). GNB: „abgestorben“, ZÜR: „verkümmert“, MEN: „gelähmt“. Unsere Übersetzung wie NGÜ.
Hand hatte.
der ... hatte Attributives Partizip Präsens. Als Relativsatz aufgelöst.
2Und sie achteten (man achtete, sie lauerten) genau
sie achteten (man achtete, sie lauerten) genau Das Subjekt „sie“ bezeichnet sicherlich die Pharisäer aus 2,24 und 3,6. Mk lässt die Referenz aber bewusst offen und verwendet stattdessen einen impersonalen Plural - vielleicht auch als Passiversatz, also „wurde belauert“ –, um so den Eindruck einer allgemeinen feindlichen Atmosphäre zu erzeugen.
darauf, ob er ihn [am] Sabbat
[am] Sabbat Temporaler Dativ.
heilen würde, um gegen ihn Anklage erheben (um ihn anzuklagen) [zu können].
3Und er sagte zu dem Mann mit der verkümmerten (gelähmten, verdorrten) Hand
mit der verkümmerten Hand Attr. Ptz. (vgl. V. 1), aus stilistischen Gründen nicht als Relativsatz, sondern als Präpositionalphrase übersetzt. verkümmert S. die Fn zu „verkrüppelt“ in V. 1. Hier benutzt Markus ein Adjektiv aus derselben Wurzel wie das Ptz. in V. 1, das sich in der Bedeutung nicht wesentlich unterscheidet.
: „Komm (Steh auf)
Komm (Steh auf) W. »Steh auf«, aber  ἐγείρω wird im Griechischen öfter auch – ähnlich wie hebr.  קוּם – vergleichbar unserem deutschen »Auf!«, »Los!« etc. verwendet (»entsemantisierter Vorbereitungsimperativ«). Das ist vermutlich auch hier die Bedeutung (vgl. BDAG zu  ἐγείρω ). »Komm!« ist die im Kontext stimmigste Übersetzung und wird so auch von BDAG emfpohlen. In der Übersetzung wird daraus: »Komm in die Mitte!«
in die Mitte!“
4Und er fragte (sagte) sie (zu ihnen): „Ist es richtig (erlaubt), [am] Sabbat
[am] Sabbat Temporaler Dativ.
Gutes zu tun oder Schlechtes zu tun? Leben zu retten oder zu töten?“ Aber sie schwiegen (sagten nichts).
5Da (Und) blickte (schaute) er sie voll Zorn (zornig)
voll Zorn (zornig) Die Präposition  μετά + [Gefühl] dient zur Angabe von Gemütszuständen (BDAG Bed. III.1).
alle der Reihe nach (ringsum) an.
blickte … alle der Reihe nach (ringsum) an übersetzt das Prädikat. Ptz. conj. (Aor.), hier temporal gleichzeitig zu verstehen. V. 3 Komm (Steh auf) in die Mitte! legt nahe, dass Jesus den Mann mit der verkrüppelten Hand in die Mitte der Versammlung gestellt hatte. In Synagogen saß man auf Steinbänken an den Wänden oder auf Matten auf dem Fußboden (Guelich 1989, 134). Jetzt schaut er mit einem deutlich spürbaren Blick in die Runde.
Tief betrübt (voller Mitleid) über die Verstockung (Sturheit, Härte)
tief betrübt (voller Mitleid) Ptz. conj. Präsens (modal); in der Klammer als Präpositionalphrase aufgelöst. Andere Möglichkeiten: „Er war [tief] betrübt“, „weil er [tief] betrübt war, ...“ Die meisten verstehen die Beschreibung als Ausdruck der Trauer, nicht des Mitleids, obwohl jenes ebenso möglich wäre (vgl. NSS; France 2002, 151).
ihrer Herzen
ihrer Herzen W. „ihres Herzens“
, sagte er zu dem Mann: „Strecke die Hand aus!“ Und (Da) er streckte [sie] aus und seine Hand wurde wieder gesund (wiederhergestellt).
6Und (Doch) sobald die Phärisäer hinausgegangen waren,
sobald … hinausgegangen waren Ptz. conj., temporal (vorzeitig) als Nebensatz aufgelöst. Ebenfalls möglich: „Doch die Pharisäer gingen hinaus und...“ (gleichzeitig)
fassten sie unverzüglich ihn betreffende (gegen/über ihn) Pläne (den Beschluss, berieten)
fassten Pläne Gr.  συμβούλιον ἐδίδουν Sonst unbekannte Formulierung, wörtlich: „Rat geben“. Übersetzungen: „einen Beschluss fassen“ (NSS, ZÜR, EÜ), „Rat halten“ (z.B. Elb, Lut), „beschließen“ (GNB), „beraten“ (Menge), NGÜ wie OfBi. Das Verb steht im Imperfekt. Daraus wird ersichtlich, dass sie über einen gewissen Zeitraum berieten oder Pläne schmiedeten.
mit den Herodianern (Anhängern von Herodes), wie sie ihn beseitigen (zerstören, töten, aus dem Weg räumen, loswerden) [könnten].
7Und (Daraufhin) Jesus zog sich mit seinen Jüngern zum Meer (See)
Meer Gemeint ist wie schon in Mk 2,13 der See Gennesaret, das „Meer von Galiläa“. Auch die gesonderte Erwähnung der Menschenmenge aus Galiläa weist darauf hin.
zurück, und eine große Menge aus Galiläa folgte [ihnen], auch (und) aus Judäa,
auch (und) aus Judäa Markus beschreibt hier zwei getrennte Gruppen, eine in V. 7 und eine in V. 8. Die erste enthält mindestens Menschen aus Galiläa. Bei der Versabgrenzung verstand man offenbar auch Leute aus dem anderen großen jüdischen Gebiet, Judäa, als Teil dieser Menge, doch schloss Jerusalem (V. 8) etwas willkürlich aus. Sinnvoller erscheint eine Aufteilung nach geographischer Nähe: In Galiläa befindet sich Jesus gerade. Judäa, Jerusalem und Idumäa liegen südlich davon, das „Gebiet jenseits des Jordans“ östlich und Tyrus und Sidon nördlich. Die Aufzählung bedeutet schlicht: „Von nah und von überall her aus der Ferne (und auch aus Jerusalem)“. So verstehen es die herangezogenen Übersetzungen, nur ELB geht von nur einer Menge aus und muss dann in V. 8 noch einmal „eine große Menge“ ohne echte Funktion erwähnen. Ähnlich ging es bei Johannes zu, dessen Wirken sich auf Judäa beschränkte und der hauptsächlich die Menschen dieser Provinz erreichte (Mk 1,5), wobei auch Galiläer wie Jesus von ihm hörten und ihn aufsuchten (1,9).
8{und aus} Jerusalem, {und aus} Idumäa und [dem Land] jenseits des Jordans, sowie der [Gegend] um Tyrus und Sidon kam
kam W. „kamen“ (Constructio ad sensum). Genauso das folgende Partizip „die hörten“.
eine große Menge zu ihm, die (weil/als sie) hörten,
die hörten Ptz. conj. Präsens, kausal oder temporal, hier als Relativsatz aufgelöst, der beide Aspekte vermitteln kann.
was ([alles], das; wie viel) er tat.
9Und er sprach zu seinen Jüngern, damit ihm wegen der Menschenmenge ein kleines Boot bereitstehen würde, damit sie ihn nicht erdrückten, 10denn er heilte (hatte geheilt)
heilte bzw. hatte geheilt Das Aorist könnte hier gut die Vorvergangenheit bezeichnen (Grosvenor/Zerwick; Kleist 1937, S. 193; van Iersel 1998, S. 162; vgl. Zerwick §290). Gut GN, KAM: „Weil er schon so viele geheilt hatte, stürzten...“. „Weil“ auch ALB, B/N, HER, MEN, NGÜ; ähnlich BB.
so viele, dass sich diejenigen ([alle], solche), die Leiden (Qualen) hatten,
Leiden (Qualen) W. „Geißel“, übertragen „Plage“. Per Bedeutungserweiterung auch „Leiden“ oder „Gebrechen“ (vgl. LN 23.182). hatten Markus benutzt das Imperfekt, um die anhaltende Situation zu beschreiben. Das setzt sich bis V. 12 fort.
sich um ihn drängten (sich auf ihn stürzten), um ihn zu berühren.
11Und die unreinen Geister fielen vor ihm nieder, sobald sie ihn sahen, und schrien {und sagten} {dass} : „Du bist der Sohn Gottes!“ 12Und er drohte (befahl, wies an) ihnen nachdrücklich (streng), damit sie ihn nicht bekannt machten.
drohte (befahl, wies an) ihnen nachdrücklich W. etwa „wies sie viel zurecht“. Das Adverb  πολλὰ „viel“ benutzt Markus hier intensivierend (ganz ähnlich wie „sehr“), daher die Übersetzung nachdrücklich. Wie in Mk 1,25 (s. Fn dort) kontrolliert Jesus hier Dämonen, denen er bindende Befehle erteilt. So heißt das Wort in diesem Kontext eher (indirekte Rede einleitend) befehlen. Guelich benutzt stattdessen die Übersetzung „seiner Kontrolle unterwerfen“ (engl. „subdue“), was im Kontext ebenfalls gut möglich ist (ders. 1989, 148f.). Die Übersetzung müsste man dann im Hinblick auf  πολλὰ (dann iterativ) und den Nebensatz leicht anpassen: „Und er unterwarf sie immer wieder seiner Kontrolle, damit sie nicht öffentlich machten, [wer er war].“ drohte ..., damit sie ihn nicht bekannt machten – Das Griechische drückt den indirekt geäußerten negativen Befehl durch einen finalen Nebensatz aus, das Deutsche mit einem Infinitivsatz. Stilistisch schöner mit „verbieten“: verbot … zu machen.
13Dann (Und) stieg er auf den Berg und rief
stieg und rief Historisches Präsens.
diejenigen zu sich, die er selbst sich ausgesucht hatte
die er selbst sich ausgesucht hatte W. „die er selbst wollte“. NSS schlägt sinngemäß „die er bei sich haben wollte“ vor (so NGÜ, ähnlich MEN, ZÜR). EÜ: „die er erwählt hatte“, GNB: „die er für eine besondere Aufgabe vorgesehen hatte“.
; und sie kamen zu ihm
kamen zu ihm W. „gingen/kamen weg zu ihm“ oder „verließen (hin) zu ihm“. Man hat sich das vielleicht bildlich so vorzustellen, dass sie sich auf seinen Ruf hin aus der Menge lösten und ihm kamen. Doch der Gebrauch des Worts in einer anderen Berufungssituation (Mk 1,20) zeigt, dass Markus mit dem Wort für seine Leser wieder auch eine Trennung vom alten Leben (oder von der Jesus nur aus Sensationslust folgenden Masse) ausdrücken möchte (vgl. Guelich 1989, 157).
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14Und er bestimmte (berief, setzte ein)
bestimmte W. „machte“, ein Semitismus (Guelich 1989, 157).
zwölf, damit sie mit ihm seien und damit er sie zum Predigen (Verkündigen) aussenden [könnte]
15und [damit sie] Macht (Vollmacht, Autorität, Ermächtigung) zum Austreiben [von] Dämonen hätten. 16Und er bestimmte (berief, setzte ein) die Zwölf, und er gab Simon [den] Namen „Petrus“; 17und Jakobus, den [Sohn] von Zebedäus, und Jakobus’ Bruder Johannes, und er gab ihnen [die] Namen „Boanerges“
Boanerges kommt in der Bibel nur hier vor und ist offenbar die griechische Schreibung eines aramäischen oder hebräischen Titels. „Boane-“ steht dabei für „Söhne“, auch wenn diese Form des hebräischen/aramäischen  בני sonst nicht bekannt ist und auch nicht der richtigen Aussprache entspricht. Es gibt verschiedene Vermutungen, welche anderen Begriffe dahinterstehen könnten, aber insgesamt liegt die Herkunft des Titels im Dunkeln (Collins 2007, 219-21).
, das heißt
heißt W. „ist“
„Söhne des Donners“;
18weiter (und) Andreas, {und} Philippus, {und} Bartholomäus, {und} Matthäus, {und} Thomas, {und} Jakobus, den [Sohn] von Alphäus, sowie (und) Thaddäus, {und} Simon den Eiferer (Zeloten)
Simon den Eiferer (Zeloten) Während Lk 6,15 den Jünger als Zeloten ausweist ( Σίμωνα τὸν καλούμενον ζηλωτὴν ), nennen Mk 3,18 und Mt 10,4 ihn  Σίμων ὁ Καναναῖος „Simon der Kananäus“. Das ist Aramäisch für „Eiferer“, was Lukas korrekt ins Griechische übertragen hat. Simon wird aber nicht zur politischen Bewegung der Zeloten gehört haben, die erst im Winter 67-68 entstand. Die wurden die Zeloten erst zur Zeit des jüdischen Kriegs (um 70 n. Chr.) zu einer Bewegung unter diesem Namen. Simon erhielt den Titel vielleicht, weil er besonders eifrig und fromm in der Wahrung des Gesetzes war (Collins 2007, 222f.; France 2002, 162f.). Andererseits hätten Markus' Leser den Beinamen vielleicht schon so (und nicht anders) verstanden (ders., 163).
19und Judas Iskariot
Iskariot Dieser Beiname ist wohl die griechische Schreibweise für Hebr.  איש קריות „Mann aus Keriot“, einem Dorf nahe Hebron in Juda. In Joh 6,71; 13,26 trägt schon sein Vater diesen Beinamen. Judas trug den Beinamen als Unterscheidungsmerkmal, weil der Name „Juda“ zu Jesu Zeit zusammen mit „Simeon“ (Simon) und „Jeshua“ (Jesus) einer der häufigsten jüdischen Namen überhaupt war. Nach anderen, jedoch problematischen Vorschlägen ist Iskariot entweder ein Beiname, den Judas erst nach seinem Verrat von den frühen Christen erhielt. Er leitet sich dann von Aramäisch  סכר, sakar „Lügner, Falscher“ ab. Oder er stammt aus Judas' angenommener Vergangenheit als jüdischer Freiheitskämpfer und leitet sich von Lat. sicarius „Meuchelmörder“ ab (ähnlich wie bei einem anderen Jünger, Simon dem Zeloten). Doch wenn schon Judas' Vater den Beinamen trug, ist die erste Theorie die wahrscheinlichste. Judas wäre dann der einzige Jünger, der nicht aus Galiläa stammt (Collins 2007, 223; Guelich 1989, 163).
, der ihn dann (auch) auslieferte (verriet)
auslieferte (verriet) Das Wort heißt „übergeben“ oder „ausliefern“ (hier zum ersten Mal für Jesus). In Mk 1,14 bezeichnet es (vielleicht absichtlich) die Verhaftung von Johannes dem Täufer. Die Evangelien benutzen das Wort in verschiedenen Fällen für Jesu Verrat, Festnahme und Übergabe an die Autoritäten sowie zur Kreuzigung. Die Konnotation des Verrats ist dabei in vielen Fällen enthalten (z.B. Joh 13,2). Dasselbe Verb benutzt die LXX für den stellvertretenden Tod des leidenden Knechts in Jes 53,6.12 LXX. Nach der angekündigten Wegnahme des Bräutigams in 2,20 ist es schon die zweite Andeutung von Jesu späterem Schicksal (Collins 2007, 223f.).
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20Später (Und) ging [Jesus] nach Hause (in ein Haus).
nach Hause bzw. in ein Haus Es wird sich wieder um Petrus' Haus in Kafarnaum handeln, das Jesus offenbar bezogen hat (vgl. Mk 1,29; 2,1). Abgesehen von seinem Besuch in Levis Haus (2,15) ist es das einzige bisher identifizierte (France 2002, 164f.).
Und wieder versammelte
ging und versammelte Historisches Präsens.
sich die Menschenmenge, sodass sie nicht einmal dazu kamen, [etwas] Brot zu essen
Brot essen Ein Semitismus für das Einnehmen einer Mahlzeit (Guelich 1989, 167). Entsprechend steht in den meisten Übersetzungen nur „essen“. Das Subjekt sie könnte sich auch auf die Menge beziehen, der Satz ergibt aber nur Sinn, wenn die Subjekte des vorigen Abschnitts (Jesus und die zwölf Jünger) wegen der aufdringlichen Menschenmenge nicht zum Essen kommen.
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21Und als seine Angehörigen (Anhänger)
Angehörigen (Anhänger), w. „die bei ihm“, bezieht sich nach traditioneller Auslegung auf Jesu direkte Familie. Die Handlung wird in den Versen 22-30 unterbrochen, um in V. 31 wieder aufgenommen zu werden. Dort steht als Subjekt „Seine Mutter und seine Brüder/Geschwister“; (France 2002, 165; Guelich 1989, 172). Nach G. Hartmann, BZ 11 (1913) 249–79 könnte es sich auch auf seine Anhänger (=die Jünger) beziehen, die außer Kontrolle geratene Menge beruhigen wollen. Dies ist jedoch aufgrund sprachlicher Beobachtungen unwahrscheinlich. Das Problem ist, dass die Phrase  οἱ παρʼ αὐτοῦ „die bei ihm“ so allgemein ist, dass man sie zunächst auf die Jünger beziehen würde – das ist aber schon deshalb auszuschließen, weil die Jünger ja bei ihm sind und sich nicht erst auf den Weg zu ihm machen müssen. Erst mehrere Verse später klärt Markus uns darüber auf, wer genau hinter der Bezeichnung steckt (France 2002, 165f.). Luther: „die Seinen“, ZÜR: „seine Verwandten“, andere Übersetzungen wie OfBi.
[davon] erfuhren ([das] hörten), machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen (zurückzuhalten, festzuhalten)
mit Gewalt zurückzuholen bzw. zurückzuhalten W. „ergreifen, festnehmen“ Das Verb lässt offen, ob seine Verwandten Jesus gegen seinen Willen nach Hause bringen, ihn im Haus festhalten oder ihn von der außer Kontrolle geratenen Menge fernhalten und beschützen wollten. Letzteres setzt freilich voraus, dass sie in der Nähe waren und nicht erst von Nazaret kommen mussten. Wenn mit Jesu Zuhause (V. 20) nicht Nazaret gemeint ist (unwahrscheinlich aufgrund der vagen Ausdrucksweise) oder Jesus aus anderen Gründen Verwandte in unmittelbarer Nähe hatte, ist nicht davon auszugehen, dass diese sich aufgrund der in V. 20 beschriebenen Lage zum Handeln entschieden. Eher werden sie von seinem Aufenthalt in Kafarnaum erfahren haben (Guelich 1989, 172).
. Sie meinten (sagten) nämlich {dass} : „Er hat den Verstand verloren!“ (meinten nämlich, er habe den Verstand verloren.) an
22Und (Dann) die Schriftgelehrten (Schreiber), die aus Jerusalem gekommen waren,
die ... gekommen waren Attr. Ptz. Aor., als vorzeitiger Relativsatz aufgelöst.
verbreiteten (meinten, sagten)
verbreiteten Gr. einfach sagten. Das durative Imperfekt zeigt hier aber an, dass es sich um die Position handelte, die die Schriftgelehrten vertraten – und verbreiteten. Das Bild der aufgeregten Menschenmenge aus V. 20 steht also nicht mehr direkt im Hintergrund. Ähnlich die Position von Jesu Angehörigen im vorigen Vers mit demselben Imperfekt: „Er hat den Verstand verloren!“ Besessenheit und Wahnsinn lagen im damaligen Denken sehr nah beieinander (vgl. France 2002, 169).
{dass}: „Er ist von Beelzebul besessen!“
Er ist von Beelzebul besessen! W. „Er hat Beelzebul!“ Diese Formulierung drückt (wie in Mk 5,15; 7,25; 9,17) Besessenheit aus. Bei Jesus könnte jedoch auch gemeint sein, ihm stehe für seine Wunder Beelzebuls Macht zur Verfügung, den er kontrolliert. Ein derartiger Pakt wäre ein klarer Verstoß gegen das Gesetz, den es unter die Todesstrafe stellt (Lev 19,31; 20,27). Der aus dem AT bekannte kanaanitische Gott Baal (nun mit einem sonst unbekannten Beinamen,  בעל זבל, Baal Zabul → wohl „Fürst Baal“) war zur Zeit Jesu noch als mächtiger Dämon bekannt, wie aus dem zeitgenössischen Werk „Testament Salomos“ hervorgeht. Der Name „Baal“ bedeutet auf Hebräisch auch einfach „Herr, Meister“. Es ist leicht nachvollziehbar, wie dieser Name im Volksglauben schließlich dem Herrscher der Dämonen zugeschrieben wurde (Collins 2007, 228-31). Doch erst Markus (bzw. Jesus) setzt den Beelzebul mit dem im nächsten Vers eingeführten Satan gleich; bei den Zuhörern wird das als bekannt vorausgesetzt (France 2002, 170; Collins 2007, 231). Aus Beelzebul wurde über die lateinische Übersetzung Beelzebub das deutsche „Belzebub“.
und {dass} : „Er treibt die Dämonen mit (mithilfe) dem Fürsten (Herrscher, Obersten) der Dämonen aus!“
23Und er rief sie zu sich und
er rief sie zu sich und Temporales (gleichzeitig) Ptz. conj., mit „und“ beigeordnet.
argumentierte (redete, sagte) mithilfe (in Form von) [einiger] bildhafter Vergleiche (in Gleichnissen)
mithilfe [einiger] bildhafter Vergleiche Häufige Übersetzung: in Gleichnissen (wie Klammer), die klassische griechische Bedeutung ist aber „Vergleich“. Aristoteles bezeichnet den Vergleich als eine häufige rhetorische Beleg- oder Beweisform, eine übertragene Illustration, die eine klare argumentative Schlussfolgerung vermittelt (Collins 2007, 231). „Gleichnisse“ sind bei Markus bildhafte Analogien, Rätsel, Metaphern oder Allegorien, die Jesus als Illustrationen zu Hilfe nimmt, um seine Position in verständlicher, einprägsamer Form zu vermitteln (vgl. Guelich 1989, 175). Oft lässt er die Gleichnisse für sich sprechen und erklärt sie nicht, sodass sie den Zuhörern Rätsel aufgeben. NGÜ: „er gebrauchte dazu eine Reihe von Vergleichen“, GNB: „erklärte ihnen die Sache durch Bilder“, NEÜ: „gab ihnen durch einige Vergleiche Antwort“, EÜ: „belehrte sie in Form von Gleichnissen“
zu ihnen: „Wie kann Satan
Satan Graecisierte Version des hebräischen »Satan«. Das ist im AT kein Eigenname, sondern ein Titel, der je nach Kontext »Feind, Widersacher, Verleumder« oder »Ankläger« heißen kann (Gr.  ὁ διἀβολος ). In Ijob 1-2 und Sach 3,1-2 wird so ein »Ankläger« am himmlischen Hof genannt (gewöhnlich mit dem Teufel identifiziert). Erst in den rabbinischen Schriften kommt Satan regelmäßig als Eigenname vor (Collins 2007, 231f.). Hier wird er mit Beelzebul gleichgesetzt, im NT ansonsten oft  ὁ διἀβολος »der Teufel/Verleumder«.
[den] Satan austreiben?
24Und wenn
wenn / wenn [wirklich] - Jesus äußert im folgenden drei parallel aufgebaute Sätze: »Wenn X sich mit sich selbst verfeindet, dann kann jenes X nicht bestehen.« Der dritte Satz aber unterscheidet sich ein wenig von den beiden vorherigen: Sätze 1 und 2 sind mit [ ἐὰν + Konjunktiv] konstruiert (2 sog. »generelle Bedingungssätze«), Satz 3 dagegen mit [ εἰ + Indikativ] (ein sog. »einfacher Bedingungssatz«) (vgl. dazu Hoffmann/Siebenthal §280c; Zerwick §303-5.320): Jesus macht zuerst zwei allgemeingültige Aussagen, die er dann auf die falsche Annahme der Schriftgelehrten überträgt. Grosvenor/Zerwick schlagen daher für Satz 3 gut vor: »Wenn [also] wirklich...«.
ein Königreich (Reich, Staat) sich mit sich selbst verfeindet
sich mit sich selbst verfeindet W. etwa »gegen sich selbst geteilt/gespalten wird« bzw. »mit sich selbst im Streit liegt« (so NSS, NGÜ, NEÜ). Die Wendung lässt sich nur schwer direkt übersetzen. Der Schwerpunkt scheint jedoch auf dem Beginn der Spaltung, Feindschaft oder des Streits zu liegen.
, [dann] kann jenes Königreich (Reich, Staat) nicht bestehen.
25Und wenn eine Familie (Haus) sich mit sich selbst verfeindet , [dann] wird jene Familie (Haus) nicht bestehen können. 26Und wenn [wirklich] der Satan gegen sich selbst rebelliert (auflehnt, erhebt) und sich mit sich selbst verfeindet , [dann] kann er nicht bestehen bleiben, sondern es hat ein Ende [mit ihm]
es hat ein Ende [mit ihm] W. »er hat ein Ende«. LUT: »es ist aus mit ihm.«
.
27Doch niemand kann
niemand kann W. »niemand kann nicht«. Die doppelte Verneinung verstärkt die Aussage.
in das Haus des Starken eindringen (einbrechen, hineingehen) und
eindringen und Ptz. conj., temporal, mit »und« beigeordnet.
seine Einrichtung (Besitztümer, Hausrat) plündern, wenn er den Starken nicht zuerst fesselt,
In V. 26 befindet sich (wie in 24 und 25) ein prospektiver Konditionalsatz, der anhand des gesunden Menschenverstands eine »Faustregel« aufstellt (Siebenthal 2011, §280). Rein syntaktisch gehört der letzte Versteil (Prädikat im Futur, nicht Konj. Aor.) nicht mehr dazu.
dann erst kann er sein Haus ausplündern
kann ausplündern Als modales Futur verstanden (NSS).
. bb
28Ja (Amen, Wahrlich), ich sage euch
Ja (Amen, Wahrlich), ich sage euch D.h. »Ich versichere euch«. Ja (Amen, Wahrlich) Das Wort Amen stammt aus dem Hebräischen und bildet im AT häufig den bekräftigenden Abschluss von Doxologien. Die griechische Übersetzung lautet meist »So sei/geschehe es!« Aus dem zeitgenössischen Judentum wie aus dem frühen Christentum ist es dann als liturgische Bekräftigungsformel bekannt, wie es auch heute in Gebrauch ist. Jesus ist der einzige, der es benutzt, um die zu bekräftigende Aussage einzuleiten. Mit ähnlicher Autorität wie bei Gottes Worten im Alten Testament will auch er keinen Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Aussage aufkommen lassen (France 2002, 174f.; Guelich 1989, 177f.). Hier in Mk 3,28 kommt es zum ersten Mal im Markusevangelium vor. Matthäus benutzt es gerne doppelt. Die Übersetzung ist schwierig. Luther machte daraus das bekannte »Wahrlich (ich sage euch)«, dem bis heute etliche Übersetzungen folgen. EÜ, ZÜR einfach »Amen«; kommunikative Übersetzungen übersetzen die Phrase für gewöhnlich sinngemäß, etwa »Ich versichere euch...«.
{dass} : Den Kindern (Söhnen) der Menschen
Kindern (Söhnen) der Menschen Semitische Formulierung, die einfach »Menschen« oder »die Menschheit« umschreibt. Kinder gibt den geschlechtlich unbestimmten Plural von »Sohn« inklusiv wieder (Generisches Maskulinum).
kann (wird) alles vergeben werden
kann (wird) vergeben werden Das Futur ist wohl modal (NSS).
– alle Sünden (Verfehlungen) und Gotteslästerungen, welche (wie viele) sie auch lästern (begehen, aussprechen) mögen.
29Doch wer immer gegen den Heiligen Geist lästert, [für] den gibt es in {der} Ewigkeit (im kommenden Zeitalter)
in Ewigkeit Das griechische Wort bezeichnet in diesem Kontext ein heilsgeschichtliches »Zeitalter«, hier das prophetisch angekündigte kommende Zeitalter, die Ewigkeit. Die Aussage »für den gibt es in Ewigkeit keine Vergebung« heißt also »für den wird es niemals Vergebung geben« (Guelich 1989, 179). Jesus spricht hier eine Warnung für Leute aus, die Gottes Wirken als Dämonenwerk verunglimpfen wollen.
keine Vergebung, sondern er ist ewiger Sünde schuldig!“
30[Das fügte Jesus hinzu,] weil sie sagten: „Er ist [von] einem unreinen Geist besessen!“
besessen W. „Er hat einen unreinen Geist!“ Dazu s. die Erklärung in der Fußnote zu V. 22.
31Dann (Und) kamen
kamen Historisches Präsens, W. „kam“.
seine Mutter und seine Geschwister (Brüder)
Geschwister (Brüder) Generisches Maskulinum. Es ist allerdings durchaus annehmbar, dass hier nur Jesu Brüder beteiligt waren. Ab dem vierten Jahrhundert hat die Rede von Jesu „Brüdern/Geschwistern“ den Kirchenvätern einige Schwierigkeiten bereitet. Problemlos vereinbar ist sie mit dem Glauben an die jungfräuliche Empfängnis; ab dem späten vierten Jahrhundert kam aber in der Theologie zusätzlich der Topos der „immerwährenden Jungfernschaft“ Mariens auf: Maria sei nicht nur zur Zeit der Empfängnis Jesu und nicht nur bis zur Geburt Jesu, sondern Zeit ihres Lebens Jungfrau gewesen. In der katholischen Kirche ist dies noch heute ein Dogma mit dem Status „de fide“ (also dem höchstmöglichem; wer anders glaubt, macht sich der Häresie schuldig), vgl. ad loc. KKK 499f. Auch die orthodoxe Kirche hat die Rede von Mariens immerwährender Jungfernschaft in ihre Liturgie aufgenommen, Luther und Calvin glaubten an diese Lehre und Zwingli hat sie sogar verfochten. In der Folge gab es einige Versuche, die Rede von den Brüdern/Geschwistern Jesu umzudeuten. Cranfield 1959, S. 144 unterscheidet gut (1) die „Epiphanische Position“ (nach Epiphanius), die Brüder/Geschwister Jesu seien als leibliche Kinder aus einer früheren Ehe Josephs nur Jesu Halbbrüder, und (2) die „Hieronymianische Position“ (nach Hieronymus), es handle sich sich bei den Brüdern/Geschwistern Jesu nur um Jesu Cousins (ähnlich immer noch gut: Lagrange 1929, S. 79f); andere auch: Semitismus für „Verwandte im Allgemeinen“ (z.B. KAR zu Mt 1,25). Beide Deutungen lässt der griechische Text auch zu ((2((2) zumindest, wenn man den Ausdruck als Semitismus liest) und werden daher immer noch von einigen Exegeten vertreten, aber da der Text keine direkten Hinweise darauf enthält, dass er so zu verstehen sei, ist die heutige Mehrheitsmeinung, dass es sich doch um Jesu leibliche Geschwister und Mariens leibliche Kinder handle. Selbst NVul übersetzt: „fratres“.
. {und} Sie blieben draußen stehen (standen) und
Sie blieben stehen und Ptz. conj., temporal oder modal, als mit „und“ beigeordneter Satz aufgelöst.
schickten [jemanden] zu ihm (ließen ihm ausrichten),
schickten [jemanden] zu ihm (ließen ihm ausrichten) - Zur Alternativübersetzung vgl. Louw/Nida 15.67 („send a message“). Das ist hier vorzuziehen, weil im Folgesatz ja nicht dieser nicht benannte „Jemand“, der auch gar nicht im Text steht, Jesus auf seine Verwandten hinweist, sondern „sie“ bzw. „man“ (s. übernächste FN).
um (wobei sie) ihn zu rufen.
um ihn zu rufen Wohl finales Ptz. conj., als finaler Nebensatz aufgelöst (vgl. NSS). Auch ein temporal-modales Verständnis ist möglich – in diesem Fall warten die Verwandten die Rückkehr ihres „Boten“ nicht ab, sondern rufen nach Jesus, noch während der Bote bei Jesus ist! Man sollte allerdings berücksichtigen, dass die Menge nach Mk 3,20 so dicht und aufdringlich war, dass Jesus und die Jünger nicht einmal zum Essen kamen. Kein Wunder, dass seine Familie nicht zu ihm durchkam.
32{und} Eine Menschenmenge saß um ihn herum, und sie sagten (man sagte)
sagten Historisches Präsens. Die Alternativübersetzung in der Klammer versteht das Prädikat unpersönlich (vgl. EÜ, NGÜ).
zu ihm: „Da draußen
Da draußen - W. »Siehe, deine Mutter und deine Geschwister draußen suchen dich«. »°Siehe°« hat hier die Funktion, Jesus auf etwas räumlich Nahes aufmerksam zu machen (Bailey 2009, S. 329); sinnvoller daher statt wörtliche Üs.: »Da draußen«.
fragen deine Mutter und deine Geschwister (Brüder) nach (suchen nach, wollen etwas von) dir!“
33Und er antwortete ihnen {und sagte}
antwortete ihnen {und sagte} Zu antwortete: Ptz. conj. (modal-temporal), mit „und“ beigeordnet. {und sagte} Historisches Präsens. Im Deutschen ist das doppelte Prädikat unnötig.
: „Wer sind
sind W. »ist«
meine Mutter und meine Geschwister (Brüder) ?“
34Und während (indem, nachdem) er der Reihe nach [alle] anschaute,
während (indem, nachdem) er der Reihe nach anschaute Ptz. conj. (Aor.), temporal-modal als Nebensatz aufgelöst.
die [im] Kreis (rings)
[im] Kreis Erstarrter lokaler Dativ (NSS).
um ihn saßen,
[alle], die ... saßen Substantiviertes Partizip, als Relativsatz aufgelöst.
sagte er: „Siehe, (Das hier sind, Ihr hier seid)
Siehe, (Diese hier sind, Ihr hier seid) - W. °Siehe°, aber auch hier fungiert es »deiktisch« - als würde Jesus mit dem Zeigefinger eben nicht auf seine Familie, sondern auf die im Kreis um ihn Sitzenden zeigen. Im Deutschen entspricht dem eher ein »Diese hier sind« (so z.B. BB, B/H, EÜ, GN, HER, H-R, HfA, KAR, MEN, NeÜ, NGÜ, NL, R-S, Stier, WIL, Zink, ZÜR). Und weil diese »Diese hier« natürlich die um ihn Sitzenden sind, eigentlich sogar eher »Ihr hier seid« - aber so niemand.
meine Mutter und meine Geschwister!
35Denn wer immer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und [meine] Schwester und [meine] Mutter.“
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